Lucie Waser
160’00 in Zürich/Frauenstreik Demo
Der 14. Juni 2019 ist die grösste politische, dezentrale Aktion der Schweiz seit dem Generalstreik von 1918. Grösser als der Frauenstreik 1991. Noch Tage später weiss niemand so recht, wie viele Menschen es schweizweit genau waren, denn in jedem Kanton der Schweiz versammeln sich Frauen* und Männer* und setzen gemeinsam ein Zeichen für eine neue Gesellschaftsordnung. Die Forderungen: Gesellschaft mit mehr Fairness, Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit, Respekt und einer Zukunftsperspektive für die kommenden Generationen. Gleicher Lohn, mehr Zeit, mehr Respekt. Stopp dem Sexismus und Diskriminierung an Frauen*. Der feministische Protesttag ist laut, bunt, solidarisch und extrem kreativ. Die feministischen Netzwerke sind stark geworden in der Schweiz — nicht nur da, auch weltweit 50’000 in Bern/Frauenstreik Demo und ETF Solidarität aus Europa/Brüssel sind sie wieder stark geworden. Gleichzeitig wird dem Direktor der ILO und dem Generaldirektor der UNO-Konferenz in Genf die Schweizer Streik-Forderungen überreicht. Unzählige Frauenkomitees haben sich in den letzten Monaten spontan gebildet; mit eigenen Themen und Forderungen. Im Frauenstreik dabei ist die Klimajugend und die LGBTI* Bewegung. Die Menschen aller Nationen und Geschlechtsidentitäten vereinigen sich zu einer kraftvollen Protestbewegung, frei nach Hannah Arendt zu einer »Revolution der Freiheit« und lassen mit ihren Massen die öffentlichen Räume der Städte mit ihren Diskussionsrunden, Reden und Parolen und erzittern!
Was in den vergangenen sechs Monate gewachsen ist, haben 23 freiwillige, kantonale Frauenstreikkomitees für ihre Region, ihre Stadt oder ihr Dorf über die gesamte Schweiz verteilt, vorbereitet. Als Basisbewegung einen solchen Tag vorzubereiten braucht Mut und Entschlossenheit. Das nationale Streikkomitee, das sich einmal monatlich trifft, wurde zur überregionalen Koordinations- und Sharingplattform über alle Sprachgrenzen und politischen Gräben hinweg.
»Jede Frau in der Schweiz kennt Diskriminierung. Auch ich kenne das.«
Bundesrätin Simonetta Sommaruga im live Interview auf dem Bundesplatz inmitten der Streikenden
Alle Frauen*, mit und ohne Schweizerpass, arbeiten seit zwölf, andere seit vier Monaten hochtourig und mit unbeschreiblichem Engagement auf diesen Tag hin und sind überwältigt von dem Zuspruch, den ihre Arbeit erfährt. Radiofrauenstreik berichtet mit live Schaltungen in die Streikregionen 20 Stunden lang und teilweise direkt vom (Bundes)Streikplatz. Die Power in den Gassen ist spürbar, einige altbackene Männer zeigen sich sichtbar genervt über die lauten Weiber und beschmeissen sie mit Fäkalien. Die ganze Schweiz ist Violett und Pink, gefärbt in die Streikfarben von 2019. Mit dabei sind Frauen mit Behinderung, selbst Rollstühle sind heute kein Thema. Sie sind Teil des Demozuges und helfende Hände sind schnell zur Stelle. Erstmals mit dabei die gesamten Kirchenfrauen: »Gleichstellung. Punkt. Amen« — ja, sie sind es, die um 11 Uhr die Kirchenglocken läuten lassen, als Symbol gegen Gewalt an Frauen. Ausserdem dabei die Landfrauen & Bäuerinnen und wie 1991 die Universitäten und Fachhochschulen, die Spitäler und die Verkäuferinnen mit eigenen Forderungskatalogen. Es gibt nur wenige Gruppierungen, die eine Teilnahme verweigern: FDP, SVP, Altnazis, Patriarchen und Faschisten. Damit ist das Hauptziel bereits erreicht: Die sogenannte kritische Masse durch den Frauenstreik in Pink und Violett zeigt sich quer durch alle Generationen, ist mehr als repräsentativ und setzt ein Zeichen gegen Rechtspopulismus und religiösen Fundamentalismus, die Tendenzen, die seit einiger Zeit Zuwachs erfahren in ganz Europa. Diese müssen gestoppt werden, denn der Wahlherbst steht in der Schweiz vor der Tür.
»Wir sind gekommen, um zu bleiben! Wir wollen nicht nur den ganzen Kuchen,
wir wollen die ganze verfluchte Bäckerei!«
JUSO Präsidentin Tamara Funiciello in ihrer legendären Rede auf dem Bundesplatz/Frauen*streik1
Einige Journalisten zeigten sich verblüfft, wie viele Frauen es gibt in der Schweiz. Menschen, die normalerweise unsichtbar sind, füllen nun die Strassen, als Gruppe einer Gemeinde, eines Betriebes, einer Branche oder als Individuen. Unübersehbar zeigt sich dabei eine grosse gegenseitige Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme, eine allgemeine Solidarität für alle Anwesenden und selbst das Mitbringen der kleinen Kinder in die grossen Masse wird als unproblematisch beschrieben. Es zeigt sich an diesem historischen Tag in der Schweiz, dass trotz der Digitalisierung Menschen soziale Wesen sind, die Interaktion und Gemeinschaft dem Individualismus verziehen, denn sie haben was zu sagen und wollen gehört werden. Der Sound des Tages stammt von Radiofrauenstreik — ein überregionaler Zusammenschluss diverser Radiostationen der Deutschschweiz – ein Novum, wie sie selber festhalten.2
Der Roche-Tower* in Basel
Follow-up 14. Juni – und jetzt?
Die Streikkomitees haben bereits die Weiterarbeite beschlossen. Zurück bleibt ausserdem eine riesige, energetisierte Menschenmasse mit viel Veränderungswille.
Nun beginnt die nächste Phase der Arbeit: Die Umsetzung der politischen Forderungen.
Impressionen
Video RaBe TV, 17. Juni 2019, Impressionen vom Frauen*streik aus der Perspektive von Radio Frauen*streik in Bern am 14. Juni 2019, 02:42. (Zum Anschauen Bild anklicken)
Video Unia Schweiz, 14. Juni 2019, Frauen*streik: Avanti donne! 03:15. (Zum Anschauen Bild anklicken)
VPOD Schweiz / SSP Suisse, 18. Jun 2019, So grossartig war der Frauenstreik, 00:59. (Zum Anschauen Bild anklicken)
Quellen und Infos
1. Radio Bern RaBe, “Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang…” Tamara Funiciello am Frauen*streik, 7:15, https://soundcloud.com/radiorabe/das-ist-nicht-das-ende-sondern-erst-der-anfang-tamara-funiciello-am-frauenstreik
2. Radio Bern RaBe (OFFICIAL), Frauen*streik 14. Juni 2019 – Rückblick von Radio Frauen*streik, 12:49, https://soundcloud.com/radiorabe/frauenstreik-14-juni-2019-ruckblick-von-radio-frauenstreik
Websites
Frauen*streik Demo Genf mit 50’000