Brigitte Frizzoni
Das erste Mal traf ich auf Johanna Rolshoven Mitte der 1990er Jahre am Zeltweg 67 im Volkskundlichen Seminar der Universität Zürich — im umfangreichen Zettelkasten von Rudolf Schenda, auf einer Postkarte. Eine meiner ersten Amtshandlungen als Assistentin war das Einordnen seiner akribisch erstellten Karteieinträge. Dabei stiess ich auf ebendiese Postkarte, die ihm Johannas Dissertation »Provencebild mit Lavendel. Die Kulturgeschichte eines Duftes in seiner Region«1 ans Herz legte. Wie Johanna Rolshoven liebte auch Rudolf Schenda die Provence und hatte dort, nicht weit entfernt von ihr, sein Feriendomizil. Die beiden kannten und schätzten sich. Und Martin Heule, ein anderer Beiträger dieser Website, hat sie auch in der Provence zusammengebracht.
Der Zettelkasten hat seither zwei Umzüge sowie zwei Institutsumbenennungen miterlebt. Heute steht er mehr oder weniger vergessen im Keller des Instituts für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft — Populäre Kulturen an der Affolternstrasse 56 in Zürich und birgt wohl noch so manchen Schatz.
Den Eintrag zu Johannas Dissertation habe ich zwar nicht mehr gefunden — weder unter Lavendel, Provence, (Süd-)Frankreich, Zweitwohnsitz noch unter Rolshoven, möglicherweise war für die Beschlagwortung das Postkartenbild ausschlaggebend, nicht der bibliographische Hinweis. Geblieben ist mir aber ein Assoziationsfeld zu Johanna Rolshoven, das Lebens- und Reiselust, Lavendelfelder, Wärme, Sonne, leichte Meeresbrise, Duft von Fischsuppe und das Prickeln eines spritzigen weissen Weines umfasst. Dieses hat auch nach vielen realen Begegnungen mit Johanna Bestand. Mit jeder weiteren Begegnung erhält es aber neue Facetten — etwa bei ihrem letzten Besuch in Zürich im November 2018 anlässlich der Gedenkfeier für Thomas Hengartner: jene der liebevollen, stolzen Mutter, die vom Mut und Engagement ihrer Tochter Paula erzählt und den New Yorker Marathonlauf ihres Sohnes Max auf dem iPad mitfiebernd verfolgt.
Erst nach dem Umzug des Instituts samt Zettelkasten vom Zeltweg 67 an die Wiesenstrasse 7/9 in Zürich durfte ich Johanna Rolshoven persönlich kennenlernen. Ueli Gyr hatte sie als Oberassistentin aus Basel ans Institut nach Zürich geholt, wo sie mit ihrem Witz, Charme und Intellekt für frischen Wind in Forschung und Lehre sowie begeisterte Studierende sorgte, bevor sie ins Wohnforum an der ETH weiterzog und schliesslich nach Graz wechselte. Graz ist ein Ort, so hatte ich das Gefühl, als ich sie dort 2013 besuchte, an dem sie glücklich angekommen ist und der zugleich geeigneter Ausgangspunkt für viele weitere Reisen ist.
Nach jedem Besuch von Johanna bei uns in Zürich bleibt etwas von ihrer mediterranen Lebensfreude und ihrem ästhetischen Flair in unserer Wohnung zurück. Alle, die Johanna kennen, wissen, wie sehr sie Schönes und Feines liebt — Kleider, Stoffe, Schuhe, ästhetisch gestaltete Alltagsdinge und Kulinaria — und wie gern sie einen damit reich beschenkt: So erfreuen wir uns an einem schicken Schuhlöffel von Stefi Talman, einem farbig bemalten Gefäss, das sie von einer Reise zu ihrer Tochter aus La Réunion mitbrachte, einem Marillenlikör aus Österreich, einem provenzalischen Küchentuch sowie einem Holzeselchen aus dem Nachlass von Rudolf Schenda, das mir Johanna letztes Mal mitbrachte und das nun mein Büro im Institut ziert.
Wohin wohl Johannas Reise weiter geht? Wir wissen es nicht. Glücklicherweise lassen sich aber — den modernen Kommunikationsmitteln sei Dank — die künftig durchschrittenen Etappen ihres Weges heute etwas leichter nachverfolgen als anhand eines idiosynkratisch geordneten Zettelkastens.
Quelle
Johanna Rolshoven, Provencebild mit Lavendel. Die Kulturgeschichte eines Duftes in seiner Region (Bremen: CON, 1991), =Veröffentlichung der Dissertation Provencebild mit Lavendel. Genese und Funktion eines Verhältnisses (Philipps-Universität Marburg, 1990)